Die Beweiskraft von E-Mails: Ein Blick auf einen neuen Bundesgerichtsentscheid
von Thomas Risch,
In der heutigen digitalen Welt sind E-Mails ein alltägliches Kommunikationsmittel geworden. Häufig ersetzen sie den traditionellen Briefverkehr oder treten anstelle von mündlichen Mitteilungen. Doch wie steht es in der Schweiz um ihre rechtliche Beweiskraft? Sind sie ein gültiges Beweismittel vor Gericht? Ein aktueller Bundesgerichtsentscheid wirft Licht auf diese Fragen.
Inhalt
Computerausdruck eines versendeten E-Mails
In seinem zur Publikation vorgesehen Urteil vom 28. März 2023 (5A_514/2022) hatte das Bundesgericht zu klären, ob ein E-Mail als Beweismittel verwendet werden kann. Im konkreten Fall ging es um einen Betriebenen, der mit dem Computerausdruck seines E-Mails beweisen wollte, dass er den Rechtsvorschlag rechtzeitig erhoben hatte.
Ob ein E-Mail als Beweis anerkannt wird, ist auch im Bauwesen von grosser Bedeutung. Dieselbe Frage stellt sich z.B. bei Anzeigen und Abmahnungen nach Art. 25 SIA-Norm 118, Mängelrügen nach Art. 173 SIA-Norm 118 oder bei kaufmännischen Bestätigungsschreiben, welche häufig anstelle von Protokollen verwendet werden.
Überlegungen des Bundesgerichts
Zunächst hielt das Bundesgericht fest, dass der Rechtsvorschlag formlos erhoben werden kann (E. 2.1). Allerdings muss der Betriebene die Zustellung beweisen können. Für den Nachweis gilt das Regelbeweismass der vollen Überzeugung (E. 2.2.4). Somit reicht es nicht aus, wenn die Zustellung bloss glaubhaft oder wahrscheinlich ist.
Vor diesem Hintergrund war zu entscheiden, ob dieser Beweis mit dem Computerausdruck eines versendeten E-Mails erbracht werden kann. Das Bundesgericht kam dabei zum Schluss, dass dies nicht der Fall sei. Zur Begründung führte es aus, dass bei «E-Mail-Eingaben ein strenges Empfangsprinzip» gelte (E. 2.1). Und weiter:
«Angesichts der mangelnden Zuverlässigkeit des elektronischen Verkehrs im Allgemeinen und der Schwierigkeit, den Eingang einer E-Mail in den Herrschaftsbereich des Empfängers nachzuweisen, im Besonderen, ist der Absender einer E-Mail gehalten, vom Empfänger eine Empfangsbestätigung zu verlangen, und beim Ausbleiben einer solchen rechtzeitig zu reagieren.»
Urteil des Bundesgerichts vom 28. März 2023 (BGer 5A_514/2022), E. 2.1
Bedeutung fürs Bauwesen
Viele Erklärungen des Bauwesens sind mit dem Rechtsvorschlag vergleichbar. So sind etwa auch Anzeigen, Abmahnungen oder Mängelrügen formfrei gültig, sofern im Vertrags nichts anderes steht. Sodann muss auch hier der Absender den Empfang beweisen, wenn er sich darauf beruft.
Die SIA-Norm 118 sieht deshalb z.B. vor, dass Anzeigen und Abmahnungen schriftlich erfolgen sollen und mündliche Anzeigen zu protokollieren sind (Art. 25 Abs. 2 SIA-Norm 118). Diese Empfehlung gibt es nicht ohne Grund.
Mit der grossen Verbreitung von E-Mails verschwimmen die Grenzen zwischen informellen Gesprächen und formellem Schriftverkehr zusehends. Das Bundesgericht ruft nun in Erinnerung, dass für formelle Erklärungen erhöhte Anforderungen gelten und diese Unterscheidung auf der Baustelle für die Durchsetzung von Rechten von entscheidender Bedeutung ist.
Empfehlungen
Für formelle Erklärungen lassen sich folgende Empfehlungen für die Baubranche ableiten:
- Wenn Sie sicher sein wollen, verschicken Sie formelle Erklärungen per Einschreiben. Bewahren Sie eine Kopie des Originalschreibens sowie die Quittung der Post sorgfältig auf. Einschreiben belegen den Empfang eines Briefes und haben damit eine hohe Beweiskraft.
- Halten Sie Ereignisse und Besprechungen auf der Baustelle in Form von handschriftlichen Protokollen fest und lassen Sie sich den Inhalt mit der Unterschrift des Vertragspartners bestätigen. Mängel werden in der Regel im Abnahmeprotokoll festgehalten.
- Denken Sie daran, dass bei formellen Erklärungen nicht nur der Beweis der Zustellung anspruchsvoll ist. Ebenso kommt es auf den korrekten Absender/Empfänger und auf den Inhalt an. Wenn Sie unsicher sind, belegen Sie für Anzeigen und Abmahnungen unseren Onlinekurs Nachtragsmanagement: AVOR und/oder konsultieren Sie einen Rechtsanwalt. Für eine Vertiefung der Materie verweise ich zudem auf mein Buch „Nachtragsmanagement nach SIA-Norm 118“, worin die Problematik beim Versand von E-Mails bereits thematisiert wird. Die Kosten von präventiven Massnahmen sind deutlich tiefer, als wenn Sie mit einem Rechtsverlust konfrontiert sind.
Wenn Sie den Aufwand oder negative Konsequenzen von Einschreiben und Protokollen fürchten, sollten Sie Alternativen gezielt dort einsetzen, wo Sie das Risiko einer allfälligen Beweislosigkeit für vertretbar halten:
- Die Zustellung von Briefen kann mit A-Post-Plus belegt werden. Im Gegensatz zum Einschreiben wird bei A-Post-Plus der Empfang nicht bestätigt, womit die Beweiskraft reduziert sein kann.
- Die Zustellung von E-Mails kann mit einer ausdrücklichen Bestätigung des Empfängers bewiesen werden. Eine solche Bestätigung kann auch implizit gemacht werden, indem der Empfänger auf das E-Mail antwortet und der Versand daraus ersichtlich ist. Aber Achtung: Solche Bestätigungen erfolgen zeitversetzt und müssen daher aktiv kontrolliert werden.
- Ob eine elektronische Empfangs- oder Lesebestätigung als Beweis reicht, wurde in diesem Entscheid nicht beantwortet. In der Praxis sind Empfangs- und Lesebestätigungen häufig deaktiviert.
Häufige Fragen
Die Beweiskraft von E-Mails hängt davon ab, ob Sie der Empfänger oder der Absender sind. Haben Sie ein E-Mail erhalten, dient der Computerausdruck in der Regel als Beweis. Wollen Sie hingegen beweisen, dass Sie ein E-Mail verschickt haben, dann reicht der Computerausdruck nicht. Dafür benötigen Sie weitere Beweismittel wie z.B. eine Empfangsbestätigung.
E-Mails sind mit mündlichen Erklärungen vergleichbar. Eine Erklärung per E-Mail ist rechtsverbindlich, solange sie gemäss Gesetz oder Vertrag formlos abgegeben werden kann und die Zustellung nachweisbar erfolgt ist. Beachten Sie dabei, dass viele Erklärungen einen besonderen Adressaten-/Empfängerkreis und einen korrekten Erklärungsinhalt erfordern, um Rechtswirkung zu entfalten. Bei Unsicherheit sollten Sie einen Rechtsanwalt konsultieren. Im Vergleich zum Rechtsverlust ist das die günstigere Variante.
Nach Empfehlung des Bundesgerichts sollte der Absender vom Empfänger eine Bestätigung einholen, dass er das E-Mail erhalten hat. Für formelle Schreiben wie Anzeigen, Abmahnungen oder Mängelrügen stellt sich regelmässig die Frage, ob ein Einschreiben nicht die bessere Wahl ist.
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