Baustelle - Hammer

Wie ein Nachtrag (nicht) durchgesetzt werden kann

Ein Nachtrag deckt in der Regel Leistungen ab, die gemäss Vertrag nicht geschuldet sind.
Lehnt ihn der Bauherr ab, läuft der Unternehmer Gefahr, Leistungen kostenlos erbringen zu müssen. Oder Termine nicht einhalten zu können.

Was viele nicht wissen:

Den Nachtrag gibt es ebensowenig wie den Claim. Daher gibt es auch nicht die Nachtragsstrategie.

Was soll das bedeuten? Und wie geht man es richtig an?
Schauen wir es uns an:

Ursachen für einen Nachtrag

Der Nachtrag umschreibt Änderungen der (vertraglich) vereinbarten Leistung im Nachhinein. Dafür gibt es verschiedene Ursachen. In Frage kommen zum Beispiel:

  • Mangelhafte oder verspätete Pläne
  • Unvollendete Arbeiten des Vorunternehmers
  • Kurzfristige Umdispositionen auf der Baustelle
  • Arbeitsunterbrüche und Ablaufänderungen
  • Bestellungsänderung
  • Bauablaufstörung
  • Zahlreiche oder kurzfristige Änderungen
  • etc.

Jede dieser Ursachen ist geeignet, die vereinbarte Leistung nachträglich zu ändern. Aber nicht jede Ursache berechtigt den Unternehmer zu einem Nachtrag.

Dies zu prüfen ist eine wesentliche Aufgabe im Claim Management.
Um hier die Spreu vom Weizen zu trennen, empfehlen wir folgende Methode:

Schritt 1: Anspruchsgrundlage feststellen

Die Anspruchsgrundlage ist ein juristischer Ausdruck. Gemeint ist eine Bestimmung im Gesetz oder Vertrag, welche dem Unternehmer unter bestimmten Voraussetzungen einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch verleiht, ihn also zu einem Claim resp. einer Forderung berechtigt. Sie folgt der Logik Wenn-Dann.

Wenn die Bedingungen A, B, C nachgewiesen sind, Dann besteht der Anspruch X.

Im Falle von Nachträgen gilt es für jede Ursache einzeln festzustellen, welche Anspruchsgrundlage für diesen Claim zum Zuge kommt. Das ist bei komplexen und oft interaktiven Auswirkungen kein Kinderspiel.
In Frage kommen etwa:

  • Bestellungsänderungen nach Art. 84 ff. der Norm SIA 118 (oft “Change Order”)
  • Verletzung von Mitwirkungsobliegenheiten durch den Besteller nach Art. 94 f. der Norm SIA 118
  • ausserordentliche Umstände nach Art. 59 der Norm SIA 118
  • ungünstige Witterungsverhältnisse nach Art. 60 der Norm SIA 118
  • etc.

Die Anspruchsgrundlage definiert, welche Bedingungen der Unternehmer erfüllen muss und welchen Anspruch resp. Claim er daraus ableiten kann. Dasselbe Schema wird auch der Bauherr anwenden, der diese Ansprüche überprüft.

Was aber, wenn für die gegebene Ursache keine Anspruchsgrundlage besteht?

Dann ist der Unternehmer verpflichtet, alle erforderlichen Massnahmen zur Einhaltung der vertraglichen Fristen zu treffen, und das auf eigene Kosten (Art. 95 SIA-Norm 118).

Die Anspruchsgrundlage zu kennen ist also ein erster, unerlässlicher Schritt, um das weitere Vorgehen im Claim Management zu bestimmen.

Schritt 2: Prozedere einhalten

Unter Prozedere verstehe ich den Ablauf von bestimmten Schritten, die eingehalten werden müssen, damit die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt werden.

Machen wir ein Beispiel:

Viele Verträge sehen vor, dass Bestellungsänderungen mitsamt Termin- und Kostenfolgen vor Ausführung vom Besteller genehmigt werden müssen. Ansonsten verliert der Unternehmer seine Vergütungs- und Terminerstreckungsansprüche aus der Bestellungsänderung. Bei dieser Regelung spricht man von einem sog. “Genehmigungsvorbehalt“. Wurde diese im Vertrag vereinbart, dann ist die Genehmigung vor Ausführung ein kritischer Erfolgsfaktor im Prozedere.

Im Claim Management muss der Unternehmer die Genehmigung aber auch sicherstellen können, wenn das Planlieferungsprogramm knapp bemessen ist, Mängel auftreten oder der Besteller den Nachtrag ablehnt.
Das ist übrigens auch ein Thema in unserem E-Learning Nachtragsmanagement: AVOR, da viele Nachträge bereits an diesem Erfordernis scheitern.

Ein anderes Beispiel für ein erforderliches Prozedere ist die Behinderungsanzeige nach Art. 25 SIA-Norm 118. Dazu kann ein Musterbrief hier heruntergeladen werden.

Mit dem korrekten Prozedere wahrt der Unternehmer die formellen Kriterien eines Anspruchs und stellt sicher, dass der Bauherr die Forderungen ordnungsgemäss prüfen kann.

Schritt 3: Beweis erstellen

Von allen Schritten ist dieser Schritt der anspruchsvollste.
Hier geht es darum, sämtliche Anspruchsvoraussetzungen gerichtsfest zu beweisen. Angefangen bei der Ursache, über die Kausalkette bis hin zu den konkreten Auswirkungen auf die Kosten und Termine.

Wird ein Nachtrag durch mehrere Ursachen verursacht, so hat der Unternehmer den Beweis für jeden Vorgang einzeln zu erbringen. Daher empfiehlt sich auch eine vorgangsorientierte Ablage. Dabei gilt die Devise:

Wer schreibt, der bleibt

Dieser Beweis wird mit Dokumenten erbracht, welche üblicherweise gemäss SIA-Norm 118 erstellt werden, zum Beispiel:

  • Vertrag
  • Bauprogramm, Planlieferungsprogramm
  • Urkalkulation
  • Korrespondenz
  • Baujournal
  • Bauprotokolle
  • Regierapporte
  • etc.

An dieser Stelle würde es zu weit führen, die Beweiskette eines jeden Nachtrags darzustellen. Jedoch sollten Baubeteiligte beachten, dass folgende Beweismittel meist nur ergänzend zum Zug kommen und für sich allein nur eine geringe Beweiskraft haben:

  • Baubetriebliche Gutachten
  • Zeugen
  • Nachträglich erstellte Dokumente

Wenn der Unternehmer also einen Nachtrag stellt und nur die zuletzt genannten Beweise erstellt hat, dann stehen seine Chancen nicht so gut. Wenn er sie zusätzlich aufführen kann, um seine Position zu verstärken, dann können sie eine grosse Hilfe sein.

Entscheidend bleibt in vielen Fällen eine baubegleitende Dokumentation.

Nachtrag abwehren

Ein Nachtrag sind nicht nicht nur für den Unternehmer eine Herausforderung, sondern oft auch für den Bauherrn oder Bauherrenvertreter, der den nachtrag prüfen muss. Dabei stellt sich die Frage, ob die streitige Leistung bereits im abgeschlossenen Vertrag enthalten ist oder nicht. Wie kann der Bauherr dies bestmöglich angehen?

Zunächst sollte der Bauherr häufige Ursachen von Claims vermeiden oder wenigstens entschärfen.

Dabei denke ich zum Beispiel an knappe Bau- und Planlieferungsprogramme, mangelhafte Pläne, verspätete Entscheidungen des Bauherrn oder an eine hohe Zahl von Bestellungsänderungen im letzten Moment. Solche Ursachen lassen sich mit einer vorausschauenden Planung reduzieren.

Wo sich Nachträge resp. Claims trotzdem nicht vermeiden lassen, ist der Bauherr in der komfortableren Position. Die Beweislast liegt beim Unternehmer, der daraus Ansprüche ableiten will (Art. 8 ZGB).
Der Bauherr muss also lediglich prüfen, ob der Unternehmer die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt – oder eben nicht. Für die Prüfung empfehlen sich die gleichen drei Schritte, wie sie bereits oben ausgeführt wurden.

Allerdings sollte die Prüfung nicht zu einer Farce verkommen. Ein vernünftiges Augenmass dient den Interessen beider Parteien oft mehr als rigoroser Formalismus.

Fazit

Auch wenn es den Nachtrag als solchen nicht gibt, heisst dies noch lange nicht, dass die Ursachen den Unternehmer nicht zu einem Nachtrag berechtigen.

Er muss es aber richtig angehen. Also:

  1. Anspruchsgrundlage bestimmen;
  2. Prozedere einhalten;
  3. Beweis (baubegleitend) erstellen.

Mit diesem Beitrag ist das Thema Nachtragsmanagement natürlich noch lange nicht abschliessend ausgeführt. Ich hoffe aber, dass dieser Beitrag ein Gefühl dafür vermittelt, wie ein Anspruch tendenziell einer Überprüfung standhält.

FAQ

Was ist ein Nachtrag und wofür wird er verwendet?

Mit einem Nachtrag werden Ansprüche aus Leistungsänderungen und Terminverschiebungen bereinigt, die erst nach Vertragsabschluss zutage treten. Ursachen für solche nachträglichen Ansprüche können z.B. Bestellungsänderungen, Baubehinderungen oder Baubeschleunigungsmassnahmen sein.

Was passiert, wenn der Bauherr einen Nachtrag ablehnt?

Wird eine Nachtragsofferte vom Bauherrn abgelehnt, können die offerierten Anpassungen bezüglich Preis, Leistung und Terminen nicht bereinigt werden. Dadurch entsteht eine Rechtsunsicherheit. In diesem Fall ist zu prüfen, zu welchen Leistungen der Unternehmer dennoch verpflichtet ist und ob er für seine Ansprüche eine Anspruchsgrundlage geltend machen kann.

Was ist die Anspruchsgrundlage für einen Nachtrag?

Unter einer “Anspruchsgrundlage” versteht man eine Bestimmung im Gesetz, der vereinbarten SIA-Norm 118 oder im Vertrag, die dem Unternehmer unter bestimmten Voraussetzungen einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch verleiht. Solche Anspruchsgrundlagen können sich auf verschiedene Aspekte des Projekts beziehen, wie z.B. auf Bestellungsänderungen, Baubehinderungen oder Baubeschleunigungsmassnahmen, und können in Form eines Nachtrags bereinigt werden.

Wie kann ich einen Nachtrag beweisen?

Nachträge sollten zur Beweissicherung schriftlich erfolgen und vom Bauherrn unterschrieben werden. Inhaltlich sollte deutlich gemacht werden, worauf sich die Anpassungen bezüglich Preis, Leistung und Terminen beziehen.

Wie kann ich beweisen, dass die Voraussetzungen für eine Anspruchsgrundlage erfüllt sind?

Für baurechtliche Ansprüche sollte das Beweissicherungssystem der SIA-Norm 118 konsequent angewendet werden. Dazu gehören Tages- und Regierapporte, schriftliche Anzeigen und Abmahnungen, schriftliche Protokolle etc. Dabei ist darauf zu achten, dass für sämtliche Anspruchsvoraussetzungen ein Beweis vorliegt. Sind die Anspruchsgrundlagen oder die dafür passenden Beweismittel nicht klar, kann es sinnvoll sein, einen spezialiserten Rechtsanwalt einzubeziehen, um den Verlust von Ansprüchen zu vermeiden.

Wie kann ich einen ungerechtfertigten Nachtrag abwehren?

Eine ungerechtfertigte Nachtragsofferte kann man abwehren, indem man die geltend gemachte Anspruchsgrundlage prüft und die Nachtragsofferte bei fehlenden Voraussetzungen ablehnt. Daraufhin liegt es am Unternehmer, seinen Nachtragsanspruch zu begründen und die dafür nötigen Beweismittel beizubringen, da er nach Art. 8 ZGB die Beweislast trägt. Es kann auch sinnvoll sein, einen spezialisierten Rechtsanwalt einzubziehen, um die Situation zu bewerten und zu entscheiden, wie man am besten vorgehen soll.

Mein Dank geht an Prof. Dr. Girmscheid für die spannenden Gespräche zum Thema Nachtragsmanagement. Weitere Publikationen zum Nachtrags- und Claim Management finden sich auf seiner Website.

Dieser Blogbeitrag gibt die Meinung des Autors wieder und ist nicht als Rechtsberatung zu verstehen. Im konkreten Anwendungsfall ist eine Fachperson zu konsultieren. Der Autor kann nicht garantieren, dass ein Gericht auf diese Rechtsauffassung abstellen wird.

Lernen Sie, Nachträge rechtssicher durchzusetzen und und abzuwehren

67 % aller Bauforderungen werden vor dem Handelsgericht Zürich abgewiesen. Bleiben die Abläufe so, wie sie sind, wird sich diese Quote auch in Zukunft nicht verbessern. Es ist also ein Umdenken erforderlich.

In den E-Learnings von Risch Baurecht werden die wesentlichen Elemente des fairen Nachtragsmanagements praxisnah erläutert und das Wissen mit regemässigen Lernkontrollen vertieft. Dank Checklisten und Vorlagen kann das Erlernte direkt in der Baupraxis umgsetzt werden. Damit wird sichergestellt, dass Rechte nicht bereits in der Bauphase untergehen.

Für eine methodische Einhaltung der rechtlichen Anforderungen in der Baupraxis folgt die Gliederung der "APB-Methode". Diese beginnt beim Erkennen der anwendbaren Anspruchsgrundlage (A), über die Einhaltung des erforderlichen Prozederes (P), bis hin zur baubegleitenden Beweissicherung (B).

Mit den E-Learnings kann das erforderliche Wissen sehr rasch und von überall aus vermittelt werden. Sie sind daher ideal für Bauherren, Unternehmer Architekten und besonders praktisch in der Mitarbeiterschulung.

Jetzt E-Learnings zum Nachtragsmanagement buchen:

Kurse anzeigen

 

Kurse für Bauprofis

Endecken Sie unsere E-Learnings nach Projektphasen. MIt konkreten Schritt für Schritt Anleitungen für Baubeteiligte.

E-Learnings entdecken

Machen Sie diese Fehler mit Nachträgen?

Einführung in die APB-Methode gratis als E-Book

PDF in A5-Format

Hier klicken

Anwalt benötigt?

Lassen Sie sich direkt beraten

zur Anwaltskanzlei Risch Legal